10. November 2017 (Wohnungspolitik, Vonovia)

Jeder Zentimeter zählt - Nachverdichtung

Jede Lücke nutzen, das scheint nötig, um dem ständig steigenden Bedarf an Wohnungen gerecht zu werden. „Nachverdichtung“ heißt das Stichwort, um schnell Platz zu schaffen und so auch den Preisdruck vom Markt zu nehmen. An einigen Stellen regt sich Protest: Denn wo Häuser entstehen, muss Natur oft weichen.

Verschwindende Natur: Mieterinnen und Mieter, wie hier in Hombruch, wollen kein neues Haus in ihrem Garten (Bild: Alexandra Gerhardt)

Der große Garten ist ein Kleinod in der Stadt. Hohe Bäume, dichte Büsche, Gartenlauben. Seit 90 Jahren stehen hier in Hombruch Mehrfamilienhäuser, in denen viele Menschen auf wenig Raum wohnen können. Die Gebäude in der Harkort- und der Egerstraße, am Aussigring und der Karlsbader Straße umschließen den Garten, der für viele ein Ort zum Durchatmen ist.

Vonovia, Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen, will hier nachverdichten. Zwischen den Häusern soll ein weiteres Gebäude entstehen. Zwei Flügel, drei und vier Etagen, mit 34 Wohnungen, dazu Stellplätze, die Hälfte davon in einer Tiefgarage. Das ärgert viele Anwohner. Seit 2016 haben die Wohnungen nach und nach neue Balkone bekommen. „Was bringt der denn jetzt noch, wenn direkt davor bald das nächste Haus steht?“, fragt Nachbar Frank Thomsen. Das soll nach Medienberichten nur sechs Meter von den schon stehenden Häusern entfernt errichtet werden. „Durch den Balkon ist es jetzt schon dunkler in meiner Wohnung. Und dann kommt sicher noch weniger Licht hinein“, fürchtet Marie Luise Birkmers.

Auch in der Innenstadt soll nachverdichtet werden. An der Ecke von Blankensteiner und Metzer Straße plant Vonovia 14 Wohnungen und Stellplätze. Und auch dort gibt es Protest. Einige der Häuser sind gerade erst um eine Etage gewachsen, die Arbeiten machten Dreck und Lärm und hinterließen Schäden in einigen Wohnungen. Jetzt noch der Neubau. „Viele sind schon weggezogen, weil sie es nicht mehr aushielten, andere planen es“, sagt Frau H., die in einem der Häuser wohnt und ihren Namen lieber nicht in der Zeitung wissen möchte: „Hier werden langgewachsene Sozialstrukturen auseinandergerissen.“

Wiese oder Wohnhaus?

Wohnungspolitisch steckt Dortmund wie andere wachsende Kommunen in einem Dilemma: Die Stadt kommt nicht hinterher, den stetig wachsenden Bedarf an Wohnraum zu decken. Nachverdichtung, zum Beispiel der Ausbau von Dachböden, das Aufsetzen einer weiteren Etage oder die Schließung einer Baulücke, kann da helfen: Der Bau geht oft schneller, die nötige Infrastruktur von Buslinien bis zu Abwasser muss nicht erst erschlossen werden, sondern ist schon da.

Das Baugesetz weist den Weg: §34 erklärt Vorhaben „innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“ für zulässig, wenn sie sich „in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen“, doch „die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben“. §13 erlaubt unter bestimmten Umständen vereinfachte bzw. beschleunigte Verfahren. Umweltprüfungen oder die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit sind dann nicht verpflichtend.

Der NRW-Landesentwicklungsplan sieht Innenentwicklung vor Außenentwicklung, auch das Raumordnungsgesetz setzt seine Prioritäten auf den „örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche“ und die „vorrangige Ausschöpfung der Potenziale […] für Nachverdichtung“. Sie ist auch für die Stadt Dortmund ein Instrument der Handlungsempfehlungen für die Wohnbauflächenentwicklung. Nicht zuletzt entsteht so wichtiger Wohnraum, auch für Menschen mit wenig Geld: Die Wohnungen in Hombruch sollen barrierefrei und seniorengerecht sein, ein Viertel davon – acht bis neun Wohnungen – preisgebunden dank der städtischen Quote für sozialen Wohnungsbau.

Angst um grüne Lungen

Doch damit gehen Grünflächen verloren, die in Großstädten Lebens- und Erholungsraum sind. Mehr als 80 Bäume stehen auf dem Gelände in Hombruch, die meisten werden wohl weichen müssen. „Wir hatten hier Eichhörnchen, Eulen und viele Vögel. Was das für ein Gezwitscher war!“ Mit den Bauarbeiten rings herum seien schon viele Tiere verschwunden. Das befürchten auch die Anwohner in der Innenstadt Hans Peter Zehnter, dem eine Wohnung ein paar Häuser weiter gehört, fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Entwicklung des Viertels: „Es gibt viele städtische versiegelte Flächen, die seit Jahren brach liegen, die könnte man bebauen.“ Auch könnte man schon bebaute Flächen umwidmen und zum Wohnen nutzen. Eine Mieterin in Hombruch wünscht sich, den Garten zu erhalten und zu öffnen: „Wie schön wäre es, wenn er für alle nutzbar wäre. Das wäre soziales Leben, das wäre urbane Stadt!“

„Dumm gestellt“

Die Anwohner fühlen sich allein gelassen – weder die Stadt noch das Wohnungsunternehmen kommunizierten. „Im Gegenteil: Auf Nachfrage wird regelrecht geblockt“, sagt Hans-Peter Zehnter im Kreuzviertel. Nur er, als Eigentümer, habe bei der Stadt Pläne einsehen dürfen. „Die Mieter werden dumm gestellt.“ Etablierte politische Parteien und Naturschutzverbände interessierten sich nicht.

Die Stadt muss Bauvorhaben genehmigen, wenn sie „den Anforderungen aus dem §34 BauGB und denen der Bauordnung NRW“ entsprechen, erklärt die Pressestelle. Einfluss auf die Ausgestaltung habe die Bauaufsicht nicht. Vonovia betont, die „Kommunikation in alle Richtungen sehr ernst“ zu nehmen und mit Mieterverein, Stadt und Kunden in Kontakt zu sein. „Selbst neue Mieter bekommen nichts gesagt“, widersprechen die Anwohner in beiden Vierteln. Interessierten sei noch vor Kurzem das Wohnen im Grünen angepriesen worden. „Vonovia hat die Mieter im Quartier Metzer Straße weder frühzeitig informiert noch an den Planungen beteiligt. Dies ist jedoch generell wichtig, um passende Konzepte entwickeln zu können und die Akzeptanz für Nachverdichtungsmaßnahmen zu erhöhen“, so die Kritik von Mietervereinssprecher Tobias Scholz.

Ob der Widerspruch sich auflösen lässt, ist fraglich. Die Initiative im Kreuzviertel hat eine Petition für den Erhalt des Gemeinschaftsgartens gestartet, mehr als 500 Unterstützer gibt es mittlerweile. Auch in Hombruch sammeln die Mieter Unterschriften, um den Bau zu stoppen und Unterstützung aus der Stadtpolitik zu erhalten. Der Bebauungsplan, der im Juli in der Bezirksvertretung vorerst abgelehnt worden war, soll im September noch einmal diskutiert werden. 

Autorin: Alexandra Gerhardt, erschienen in Mieterforum Nr. 49 III/2017


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