27. August 2019 (Wohnungspolitik, Wohnungsmarkt)

Solidarisch wohnen

Die Wohnprojekte-Landschaft in Dortmund wird größer und vielfältiger. Genossenschaften und Vereine sind bekannte und vertraute Formen, um gemeinschaftliche Wohnprojekte umzusetzen. Eine bisher wenig bekannte Variante ist das Mietshäuser Syndikat. Diesem geht es im Kern darum, solidarisches Wohnen möglich zu machen und Immobilien dem Markt zu entziehen.

Bild: Alexandra Gehrhardt

In einer alten Berufsschule wohnen? Alte Klassenräume zu Wohnungen umbauen, die riesigen Flure gestalten? „Das wäre schon ein Riesending gewesen“, sagt Kurt Offermann. Urban Gardening, eine offene Werkstatt, gemeinschaftliche Arbeitsräume, gemeinschaftliche Kinderbetreuung – für alle Ideen von Kurt, seiner Partnerin Maja Suhrkamp und 13 anderen Menschen wäre Platz gewesen, und wahrscheinlich noch für eine Menge mehr. Am Ende hat ein Investor den Zuschlag für die frühere Berufsschule an der Sckellstraße in Dortmund-Hörde bekommen. „Buntes Wohnen“, so heißt die Gruppe um Maja, Kurt und die anderen, suchen weiter.
 
Über 15 Wohnprojekte gibt es mittlerweile in Dortmund, und es werden mehr. Als Wohneigentümergemeinschaft, mit Wohnungsunternehmen oder Investoren als Partner, oder als Teil einer Dachgenossenschaft wie das Projekt „WIR aufm Revier“ in Hörde (siehe Mieterforum I/2019).

Der Verein „Buntes Wohnen“ hat, neben dem Gedanken des gemeinschaftlichen Wohnens, ein weiteres Ziel: „Wir finden den Gedanken charmant, Immobilien aus der Spekulation herauszunehmen, damit sie nicht weiterverkauft werden können“, sagt Maja. Es geht um faires, solidarisches Wohnen und bezahlbare Mieten. In Deutschland hat sich vor allem ein Modell etabliert: das Mietshäuser Syndikat.

Dabei handelt es sich um den Zusammenschluss vieler selbstständiger Hausprojekte in ganz Deutschland, die ein gemeinsames Ziel haben: bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und sich Wohnraum anzueignen, sodass man auf umkämpften Wohnungsmärkten nicht mehr Mieterhöhungen oder Kündigungen fürchten muss. Das Konzept: Immobilien gehören nicht Einzelnen, sondern einem Unternehmen, das aus dem dazugehörigen Hausverein gegründet wird und das Wohnprojekt „betreibt“.

Weitere Eigentümerin ist der Dachverband des Mietshäuser Syndikats in Freiburg. Der Effekt: Es entsteht Gemeineigentum, das nicht an Personen, sondern an die GmbH gebunden ist. Und weil das Haus nicht weiterverkauft werden kann, wird es dem Markt entzogen.

Das Eigenkapital, dass die Einzelnen einbringen sollen, soll durch Solidarkapital niedriger ausfallen. Die Mieten sind, so will es der solidarische Gedanke, dauerhaft niedrig(er) angesetzt. Koordiniert über den Freiburger Dachverband unterstützen sich die Projekte gegenseitig, die stärkeren fördern die schwächeren, die erfahrenen beraten die neuen. Mehr als 140 Projekte sind schon umgesetzt, weitere 19 stehen offiziell in den Startlöchern. „Es ist eine sehr sichere Sache, auch für Investoren. Mittlerweile ist es auch bei Banken bekannt“, sagt Maja Suhrkamp.

„Natürlich geht es!“

Die Gruppe „Komm zu Potte“ hat sich vor einem Jahr erst gefunden. Auch Theo und Thomas, zwei von zehn zukünftigen Mitbewohnern, reizt die Idee, Immobilien vor Spekulation zu schützen. Hinzu kommt: „Wir binden uns nicht an riesige Kredite. Und das Projekt hängt nicht von Einzelnen ab: Wenn von uns mal jemand wegzieht, geht das Projekt trotzdem weiter“, erklärt Thomas. Ein paar Häuser hat sich der Verein schon angeschaut, bisher aber noch nichts gefunden. Im Moment wird alles ein bisschen parallel vorbereitet: Haussuche, GmbH-Gründung, Öffentlichkeitsarbeit, Finanzierung, eine Crowdfunding-Kampagne, um Spenden zu sammeln. Finanziert werden Syndikatsprojekte in der Regel über verschiedene Wege: Bankkredite, Eigenanteil, Fördermittel, Direktkredite und Spenden oder andere Zuwendungen. Eine mühsame Arbeit.

Und noch etwas hat sich „Komm zu Potte“ vorgenommen: „Wir wollen die einzelnen Projekte miteinander vernetzen“, sagt Theo. Unter wohnprojekte.ruhr entsteht derzeit eine Plattform, auf der sich alternative Wohnprojekte im Ruhrgebiet vorstellen, aber auch um Unterstützung bitten und „Fähigkeiten hin und her zu schieben. Jemand hat uns zum Beispiel Hilfe bei einer Photovoltaikanlage angeboten. Vielleicht hilft das ja auch einem anderen Projekt“, erklärt Thomas. Klar gebe es Zweifler, die fragen, wie das gehen soll, sagt Thomas. „Aber es sind 140 Projekte realisiert, natürlich geht es!“

Für „Buntes Wohnen“ zählt jetzt erstmal vor allem eins: das Haus für ihr Wohnprojekt. Das aber gestaltet sich schwer. „Bei der alten Berufsschule am Westfalenpark waren wir unter den letzten drei Bietern, am Ende hat es doch ein Investor bekommen. Das Liegenschaftsamt hat in erster Linie die politische Vorgabe, die städtischen Grundstücke gut zu verkaufen. Für kleine soziale Projekte ist das nicht ausgelegt“, erzählen Maja und Kurt.

Daher hat der Verein im Februar einen Offenen Brief an die Stadt geschrieben und Forderungen zur besseren Berücksichtigung von selbstorganisierten Wohnprojekten formuliert. Dabei wird an einen politischen Beschluss aus dem Februar 2018 zu Konzeptverfahren bei der Vergabe städtischer Grundstücke angeknüpft. Dieser beinhaltet unter anderem, dass 10 Prozent der Liegenschaften an Wohnprojekte und Baugemeinschaften vergeben werde sollen. Generell soll bei städtischen Liegenschaften nicht der höchste Preis, sondern das beste Konzept zum Tragen kommen. Hier arbeitet die Stadtverwaltung aktuell an einer Konkretisierung, die in die zuständigen politischen Gremien eingebracht werden wird.

Änderung der Gemeindeordnung

Der Trägerverein zahlreicher Wohnprojekte in Dortmund W.I.R. - Wohnen innovativ realisieren - hat dabei Buntes Wohnen e.V. mit einem Begleitbrief unterstützt. Ebenso der Mieterverein, der neben dem Thema Erbpacht statt Verkauf städtischer Liegenschaften, höhere Quoten für geförderten Wohnungsbau, und längere Mietpreisbindungen als Kriterien bei der Konzeptvergabe eingebracht hat. Wichtig ist beim Thema städtische Grundstücke eine Änderung der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Februar 2019. Demnach kann eine Kommune den Wert eines Grundstücks auch unterhalb des Verkehrswertes festsetzen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse – etwa in Form von sozialen Einrichtungen oder beim sozialen Wohnungsbau besteht. Die Kommunalpolitik hat damit erweiterte Spielräume für ihre Liegenschaftspolitik.

Autor: Alexandra Gehrhardt, erschienen in Mieterforum Nr. 56 II/2019


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