27. November 2015 (Wohnungspolitik)

Wohnprojekt Mosaik: „Ein Projekt wie unseres lebt nur aus der Freiheit heraus“

Frederik und Jonas sind junge Männer in ihren Zwanzigern. Sie könnten schon längst von Zuhause ausgezogen sein. Eigentlich. Frederik hat das Asperger-Syndrom, Jonas sitzt im Rollstuhl, beide brauchen Hilfe im Alltag. In Dortmund entwickelt sich ein Wohnprojekt, in dem Menschen mit und ohne Hilfebedarf zusammen leben und ihren Alltag gemeinsam gestalten wollen. Aus dem Verein hat sich eine Genossenschaft gegründet, um die Idee vom inklusiven Leben zu verwirklichen.

Foto: Alexandra Gerhardt

Jonas‘ und Frederiks Mütter, Sylvia Günther und Gabriele Wiemann, möchten, dass ihre Söhne inklusiv wohnen und selbstbestimmter sind. Die üblichen Wohneinrichtungen sind in ihren Augen aber unzureichend: „In vielen Einrichtungen, die wir kennengelernt haben, kämen uns unsere Kinder abgeschoben vor. Unterbesetzung und die Abhängigkeit von anderen – das bedeutet Unfreiheit“, erklärt Sylvia Günther.

Ein Begriff wie Kaugummi

Aus einer Initiative von Eltern mit Kindern, die einen Hilfebedarf haben und noch zu Hause wohnten, gründete sich 2009 der Verein Mosaik mit dem Ziel, bestehende Wohnangebote zu ergänzen. „Teilhabe ist ein verbreitetes Schlagwort, aber das ist ein Begriff wie Kaugummi“, sagt Günther. „Es ist schwierig, Teilhabe umzusetzen, wenn das Personal nicht ausreicht, um sich individuell um die Menschen zu kümmern.“

Mosaik ist anthroposophisch begründet und basiert auf der Überzeugung, dass ein Mensch mit Betreuungsbedarf „das Recht auf Akzeptanz, Unterstützung und Entfaltung seiner Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auch“ hat, verrät das Leitbild. Das ist auch die Idee des geplanten Wohnprojektes, in dem Menschen mit und ohne Hilfebedarf unter einem Dach zusammenleben wollen – gemeinsam, freiwillig, solidarisch. Das heißt nicht, dass die Menschen ohne professionelle Pflegedienste auskommen sollen: Schlüssel ist, dass sich die Bewohner gegenseitig helfen. „So ein Projekt lebt nur aus der Freiwilligkeit aller heraus“, erklärt Günther. Und es macht die, die mehr Hilfe brauchen, unabhängiger. „Mein Sohn wird auch im Wohnprojekt nicht ohne Pflegedienste auskommen, ein blinder Mensch zum Beispiel aber vielleicht schon“, so Günther.

In bis zu drei Häusern sollen rund 40 Wohnungen für bis zu 90 Menschen entstehen, die allein, in Familien oder Wohngemeinschaften zusammenleben, ein Drittel von ihnen mit Hilfebedarf. Realisiert werden sollen die Gebäude auf einem Grundstück in Aplerbeck, von dem aus sowohl der Ortskern als auch die Bahnstation gut zu erreichen sind.

Genossenschaft seit 2014

Knapp 2,67 Millionen soll das Vorhaben für Grundstückskauf, Aufbereitung und Bau des ersten Hauses kosten. Um es wirtschaftlich auf feste Beine zu stellen, hat sich im Juli 2014 zusätzlich eine Wohnungsgenossenschaft mit mittlerweile 20 Genossen gegründet. Das nötige Eigenkapital muss nun gebildet werden – und das ist eine Herausforderung: 20 Prozent der Kosten, 534.000 Euro, muss sie selbst aufbringen, der Rest wird über Kredite, Spenden oder Fördermittel finanziert.

Beim Eintritt in die Genossenschaft wird ein Pflichtanteil von 500 Euro gezeichnet, später kommt je ein Anteil pro bewohntem Quadratmeter dazu. 85 Prozent, so der Plan, sollen zum öffentlich geförderten Wohnungsbau der Stadt Dortmund gehören und explizit finanziell Schwachen zur Verfügung stehen – zu denen eben auch Menschen mit Hilfebedarf, Ältere und Familien gehören. Sie sollen später knapp fünf Euro Miete pro Quadratmeter zahlen, Bewohner im frei finanzierten Wohnungsbau rund sieben Euro. „Wir wollen das Wohnen auch denen ermöglichen, die es sich nicht leisten können“, sagt Günther, Vereinsvorsitzende und Aufsichtsratsmitglied der Genossenschaft.

Darüber hinaus arbeitet Mosaik mit der GLS Bank zusammen, die langjährige Erfahrung in der Finanzierung gemeinschaftlicher Wohnprojekte hat. Sie setzt dabei auf noch wenig verbreitete Kreditformen: Bisher 50 Unterstützer haben Bürgschaften von bis zu 3.000 Euro für das Projekt übernommen. Ein weiterer Baustein sind sogenannte Leih- und Schenkgemeinschaften: Menschen nehmen einen Kleinkredit für das Projekt auf und zahlen ihn in monatlichen Raten über maximal fünf Jahre ab. Auch dass Genossenschaftsbeiträge je nach finanziellen Kapazitäten geleistet werden, ist denkbar, sagt Günther: „Wichtig ist erst einmal nicht das Geld, sondern die Bereitschaft, sich ins Projekt einzubringen. Alles andere können wir gemeinsam entwickeln.“

Prominente Unterstützung hat Mosaik im Fußballer Julian Koch gefunden, der seine Karriere beim BVB begann. Er hat im Bekanntenkreis ordentlich für das Projekt geworben und schon einige Spenden akquiriert. In Zukunft will die Genossenschaft außerdem Dortmunder Unternehmen, aber auch die Stadt Dortmund als Unterstützer gewinnen.

Wie es weitergeht

„Wir hoffen, das Grundstück in diesem Jahr kaufen zu können“, sagt Gabriele Wiemann. Innerhalb von eineinhalb Jahren könnte das erste Haus fertig sein. Sylvia Günther wird eine Wohnung, Sohn Jonas eine Wohngemeinschaft im ersten Haus beziehen, Familie Wiemann hat sich für Wohnungen im zweiten Haus entschieden. So sind die Kinder unabhängiger „und wir können die neue Gemeinschaft gemeinsam gestalten.“ 

Kontakt Mosaik Dortmund

Tel. 0231-732968 (Sylvia Günther,Vereinsvorsitzende)

und 0231-716711 (Dieter Schade, Genossenschaftsvorsitzender)

Internet: www.mosaik-dortmund.de

E-Mail: info@mosaik-dortmund.de 

Autorin: Alexandra Gerhardt, erschienen im MieterForum 3/2015


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