6. Oktober 2017 (Wohnungspolitik)

Ausreichend sicher? - Brandschutz

Der Brand des Grenfell Towers in London erschütterte im Juni die Welt. Eine brennbare Fassadenkonstruktion und laxe Kontrollen hatten dazu geführt, dass ein Feuer in einer einzigen Wohnung ein komplettes Hochhaus in Flammen setzte und mindestens 79 Menschen tötete. Damit ist auch der Brandschutz in Deutschland ins Blickfeld geraten.

Bei Hochhäusern sind die Vorgaben klar: nur "nicht brennbare Materialien". Bei flacheren Bauten sind die Regeln lockerer - das sehen Experten als problematisch an.

Die Bilder des brennenden Grenfell Tower im Londoner Stadtteil Kensington erschütterten die Menschen weltweit. Die Ursache: ein defekter Kühlschrank. Und: eine brennbare Fassadendämmung aus entflammbarem Kunststoff – so an das 24-stöckige Haus angebracht, dass sich im Zusammenspiel mit der hinterlüfteten Fassade die Flammen wie durch einen Kamin von Etage zu Etage nach oben arbeiten konnten. Mindestens 79 Tote zählen die Behörden. Wenn tatsächlich, wie befürchtet, hunderte Menschen „illegal“ in dem Haus lebten, könnte die Zahl der Todesopfer weit höher sein. Scottland Yard ermittelt wegen fahrlässiger Tötung gegen die verwaltende Wohnungsgesellschaft des 2016 sanierten Gebäudes und den Bezirksrat. Immer wieder hatten Bewohner des Sozialwohnungsbaus auf fehlende oder defekte Sprinkler und Feuermelder hingewiesen – vergeblich.

Gefahr in Deutschland?

Das Feuer hat auch in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie es um den Brandschutz in Wohnhochhäusern bestellt ist. Das Bundesumweltministerium gab in einer Handreichung zu Brandschutz und Wärmedämmung schnell Entwarnung: Aufgrund hoher Sicherheitsstandards in Deutschland sei „nach einhelliger Expertenmeinung eine solche Brandkatastrophe wie in London ausgeschlossen“.

Trotzdem überprüften Behörden auch hier Wohnhochhäuser auf die Einhaltung des Brandschutzes. In NRW führten diese Kontrollen zur Räumung eines Hauses. In Wuppertal wurde Ende Juni ein elfstöckiges Gebäude wegen brennbarer Fassadendämmung und weiterer Brandschutzmängel evakuiert. Erst nach vier Wochen konnten die Bewohner zurück in ihre Wohnungen, die Eigentümergesellschaft Intown betont, alle Vorschriften eingehalten zu haben und klagt nun gegen die Stadt. Auch in Dortmund untersuchten die Abteilung Vorbeugender Brandschutz der Feuerwehr und die Bauaufsicht die Fassaden von 57 Hochhäusern. Zumindest äußerlich betrachtet gab es bei den Häusern „keine Auffälligkeiten“, hieß es im Anschluss.

Wie ist es um den Brandschutz bestellt?

Generell lautet die Regel: Je höher das Gebäude, desto höher sind die Sicherheitsbestimmungen. Hochhäuser über 22 Meter haben strenge Richtlinien für Rettungswege und Löschanlagen (siehe Infokasten), verbaute Materialien dürfen nicht brennbar sein. Für Gebäude von sieben bis 22 Meter lautet die Mindestanforderung lediglich „nicht entflammbar“.

Experten finden das problematisch, erklärt Dirk Klüh, stellvertretender Leiter des Vorbeugenden Brandschutzes bei der Dortmunder Feuerwehr. Denn häufig greifen Bauherren dieser Häuser bei der Fassadendämmung auf preisgünstigen EPS-Schaum zurück. Mineralwolle, ein anorganischer, nicht brennbarer Dämmstoff, ist zwischen sieben und 15 Prozent teurer. EPS, unter dem Markennamen Styropor bekannt, ist zwar wie vorgeschrieben schwer entflammbar, doch wenn er einmal brennt, passiert das schnell und mit hoher Rauchentwicklung. Das ist fatal, weil bei diesen Gebäuden der zweite Rettungsweg statt über ein Treppenhaus über die Fenster hergestellt wird. „Wenn dann die Fassade von außen brennt, ist das gefährlich“, so Klüh. Das kritisiert auch ein Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren und anderer Organisationen rund um den Brandschutz und fordert beim Hausbau mehr Brandsperren und nicht brennbares Material im Erd-geschoss, um Brände durch Müll zu vermeiden.

Zum Brandschutz gehören auch regelmäßige Brandverhütungsschauen. „In Dortmund werden Sonderobjekte, zu denen auch Wohnhäuser über 22 Meter gehören, turnusmäßig alle drei bzw. sechs Jahre überprüft“, erklärt Dirk Klüh. Doch was ist mit Altbauten, die, wie das Haus in Wuppertal, schon mehrere Jahrzehnte alt sind? „Grundsätzlich gilt hier … Bestandsschutz“, so das Bundesumweltministerium, wenn auch „bei großen Gefahren von diesem Grundsatz abgewichen werden“ könne. Hätten die Mitarbeiter des Vorbeugenden Brandschutzes bei ihrer Kontrolle im Juli Mängel festgestellt, hätte die Bauaufsicht Maßnahmen ergreifen können, um diese Mängel zu beheben.

Wenn das nicht passiert, können auch Zwangsgelder verhängt werden. Und wenn Eigentümer dem nicht nachkommen? In Wuppertal wusste die Stadt laut Medienberichten seit 2010 von den Mängeln,  doch die jeweiligen Besitzer – das Haus war mehrmals verkauft worden – seien weder den Aufforderungen zur Sanierung nachgekommen noch hätten Zwangsgelder etwas bewirkt. Weil es keinen zweiten Rettungsweg gab, sei das Haus dann für unbewohnbar erklärt worden. „Wir schreiten ein, wenn Gefahr für Leib und Leben der Bewohner besteht“, sagt Dirk Klüh zur Dortmunder Linie. Hier ist solch ein Fall nicht bekannt.

Redaktioneller Hinweis: Die erheblichen Brandschutzmängel am Hannibal II in Dortmund-Dorstfeld wurden erst in der dritten Septemberwoche durch die Stadt Dortmund entdeckt und führten zur Räumung am 21.09.2017. Sie betreffen nicht die Fassade des Hochhauses. Dieser Artikel erschien jedoch bereits Mitte September im Mieterforum.

Auch die Kosten sind ein Streitpunkt. Die hohen Bestimmungen zum Brandschutz und zur Energieeffizienz haben den Wohnungsbau verteuert und seien eine Hürde für öffentliche wie private Investoren. Nachdem mit der Energieeinsparverordnung ein Kostenfaktor herausgezögert wurde, positionieren sich Mieterverbände deutlich: „Bestehende Brandschutzvorschriften dürfen nicht auch nur ansatzweise in Frage oder zur Disposition gestellt werden“, so der Mieterbund in Berlin. 

Autor: Alexandra Gerhardt, erschienen in Mieterforum Nr. 49 III/2017

 

Brandschutz in Deutschland

An Wohngebäuden, die höher als 22 Meter sind, dürfen nur nicht brennbare Materialien verbaut werden, insbesondere bei Fassaden. Es müssen horizontale Brandsperren verbaut sein, die ein Feuer auf dem Weg nach oben stoppen. Außerdem müssen Hochhäuser über spezielle Feuerwehraufzüge in jeder Etage, automatische Brandmelde- und Feuerlöschanlagen, Steigleitungen und Wandhydranten verfügen.

Bei Gebäuden zwischen sieben und 22 Metern sind die Regeln etwas lockerer: Hier liegt die Mindestanforderung an das verbaute Material bei „schwer entflammbar“. Seit 2006 sind in Gebäuden, die mehr als drei Geschosse haben, baurechtlich nicht brennbare Brandriegel vorgesehen, die über jedem zweiten Geschoss wie ein Ring in die komplette Fassade eingearbeitet werden. Auch für Balkone und Fenster gelten besondere Bestimmungen. 2016 wurden die Regelungen zuletzt verschärft.


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