1. Februar 2018 (Wohnungspolitik, Hannibal Dorstfeld)

Hannibal 2 - Die Chronik

Die Evakuierung des Gebäudekomplexes Hannibal 2 in Dortmund-Dorstfeld im September war der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung aus Verkäufen, Pleiten und zunehmendem Verfall. Seit vielen Jahren weist der Mieterverein immer wieder auf Instandhaltungsmängel wie defekte Heizungsanlagen oder nicht funktionierende Fahrstühle hin. Dabei fing alles eigentlich ganz gut an.

1973 - 1975

Die Dortmunder Gemeinnütziges Wohnen GmbH (damals DGW, heute DOGEWO21) errichtet am Vogelpothsweg 12-26 acht Terrassenhäuser mit 412 Wohneinheiten und knapp 28.000 m² Fläche. Neben den sozial geförderten Maisonettewohnungen entstehen auch rund 100 Wohneinheiten für Studierende der nahegelegenen Universität Dortmund. Hell, modern und mit großer sozialer Durchmischung – so wird der Hannibal 2 in den ersten Jahren wahrgenommen. Die Dortmunder Architekten Günther Odenwaeller und Heinz Spieß planten die Dorstfelder Wohnanlage gemeinsam mit dem „kleinen Hannibal“ an der Bornstraße in der Dortmunder Nordstadt. Architektonisches Vorbild waren Terrassenhäuser im olympischen Dorf in München.

1980er und 1990er-Jahre

Anfang der 190er Jahre hat der Hannibal seinen großen Auftritt im Film „Jede Menge Kohle“ des Dortmunder Regisseurs Adolf Winkelmann. Doch auch erste Baumängel treten auf: Der Beton platzt von Fassadenelementen, die im gesamten Gebäude verbauten Alufenster sind Auslöser für Feuchtigkeits- und Schimmelprobleme. Hinzu kommen soziale Faktoren: dunkle Durchgänge werden zu Angsträumen, nicht wenige der Bewohner beklagen die Anonymität in dem 160 m langen Gebäudekomplex. Zwischen 1988 und 1995 führt die DOGEWO umfangreiche Arbeiten durch: Der Brandschutz wird verbessert, die Aufzugsanlage wird überarbeitet, die Betonfassade wird saniert. Wer es sich leisten kann, zieht trotzdem weg. Der Leerstand wächst. 

1997

Die Stadtwerke übernehmen die DOGEWO. Ab Mitte des Jahres werden die Mieten schrittweise gesenkt, um die Wohnungen attraktiver zu machen.

1999

Im Hannibal stehen bis zu 150 Wohnungen leer. Die DOGEWO versucht die Zufriedenheit der Bewohner durch soziale Projekte zu verbessern: Die Wohnbund Beratung NRW GmbH veranstaltet regelmäßige Mietersprechstunden und -treffen. Auch das Kinder- und Jugendamt der Stadt Dortmund betreibt im Hannibal einen Erlebnistreff. Zugleich ist die Umwandlung in Eigentumswohnungen geplant, die jedoch nicht umgesetzt wird.

2001

Es findet eine monatliche Bürgersprechstunde der Polizei in den Hausmeisterräumen des Hannibal statt. Ende des Jahres übernehmen die Dortmunder Dienste die Objektbetreuung.

2002

Die DOGEWO betreibt ein Servicebüro im Gebäude. Ein Vier-Jahres-Plan soll das Unternehmen jedoch wieder in die schwarzen Zahlen führen. Dazu müssen „defizitäre Immobilien“ abgestoßen werden. Der Hannibal gehört dazu.

2004

Der Hannibal geht mit weiteren 553 Wohnungen an die Unternehmensberatung Janssen & Helbing. Die verbliebenen Mieter erhalten ein lebenslanges Wohnrecht. Janssen & Helbing kündigen umfangreiche Sanierungen an und beginnen damit. Dafür werden Kredite aus der Wohnräumförderung von der NRW-Bank in Millionenhöhe aufgenommen. Doch das Geld landet vor allen Dingen in den Taschen eines Geschäftsführers, der ein paar Jahre später wegen Betrugs zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt wird.

2005

Die begonnenen Sanierungsarbeiten werden abrupt abgebrochen.

2006

Janssen & Helbing stecken in Zahlungsschwierigkeiten. Der Energielieferant stellt die Warmwasser- und Heizungsversorgung ein. Da der gesamte Komplex über Wärme-Contracting versorgt wird, haben die Mieter kein Heißwasser, die Heizung bleibt kalt.

2007

Der Hannibal geht in die Zwangsverwaltung. Miete und Betriebskosten gehen nicht mehr an den Eigentümer, sondern an den Zwangsverwalter. Die Aufzüge fallen immer wieder aus, die Heizungen in den oberen Etagen funktionieren nur unzureichend.

2008

Janssen & Helbing gehen in die Insolvenz. Der Hannibal bleibt in Zwangsverwaltung. Ein sich andeutender Kauf durch die „suse property GmbH“ kommt nicht zustande. Im Rahmen der Zwangsverwaltung werden nur „dringend erforderliche“ Reparaturen vorgenommen. 

2009

Vorbereitend für die Zwangsversteigerung wird ein Verkehrswertgutachten erstellt. Die Gutachter beziffern den Wert der Immobilie auf knapp 3,7 Mio. Euro. Ein Sondergutachten benennt Bauschäden in Höhe von mehr als 9 Mio. Euro. Brisant: Bereits in diesem Gutachten wird auf die mangelnde Brandsicherheit hingewiesen. Der bauliche Zustand ist noch durch den Bestandsschutz gesichert, der Gutachter empfiehlt aber bereits umfassende bauliche Maßnahmen.

12/2011

In einer wahren Bieterschlacht mit rund 200 Geboten geht der Hannibal schließlich für den Preis von 7 Mio. Euro an die Lütticher 49 Properties GmbH mit Sitz in Berlin. Die Pläne des neuen Eigentümers bleiben unklar. „To make it nice … and bring nice people“, sagt ein Unternehmensvertreter nach der Versteigerung. Recherchen des Mietervereins ergeben, dass die Lütticher 49 Properties im Besitz einer auf Zypern registrierten Eigentümergesellschaft ist.

01/2012

Der Mieterverein befürchtet eine erneute Warteschleife für den Hannibal und fordert die Dortmunder Ratsfraktionen auf, ein städtebauliches Entwicklungskonzept für Dorstfeld Süd inklusive des Hannibal 2 zu entwickeln.

03/2012

Die Lütticher 49 Properties stellt sich schriftlich den Mietern vor und übergibt die Verwaltung des Gebäudes in die Hände der Grand City Property GmbH. 

08/2012

Die Lütticher 49 Properties GmbH setzt die Dairos Property Management GmbH als neue Hausverwalterin ein. Die Mieter sind verunsichert. Immer wieder kommt es zu Ausfällen der Fahrstühle. Mieter in den oberen Etagen sind teilweise wochenlang in ihren Wohnungen gefangen. Mietminderungen begegnet Dairos mit Mahnschreiben und Inkassounternehmen.

2013

Im April wendet sich der Mieterverein an Bauminister Michael Groschek und bittet um Unterstützung dabei, einen Strategieentwicklungsprozess für die Zukunft der Wohnanlage zu entwickeln. Aus dieser Unzufriedenheit mit der Wohnsituation heraus gründet sich eine Mieterinitiative, die die zahlreichen Mängel und Ärgernisse 

dokumentiert. Mitte des Jahres wird die Heizungsanlage für Reparaturarbeiten über Wochen stillgelegt. Anschließend droht der Wärmelieferant, die EGC, im September mit einer Versorgungssperre. Grund ist ein Streit über nicht gezahlte Vorauszahlungsbeträge. Die Aufzüge fallen regelmäßig aus Die Stadt Dortmund veröffentlicht im November eine Quartiersanalyse, die die Unzufriedenheit der Bewohner und die Handlungsbedarfe dokumentiert.

Mai 2015

Nach immer wiederkehrenden Aufzugsausfällen in Haus 22 klagt ein Mieter erfolgreich auf Instandsetzung des Aufzuges. Er hatte sich nach rechtlicher Beratung durch den Mieterverein und einer langen Phase von Mietminderungen zu diesem Schritt entschlossen. Im Mai wird ein neuer Aufzug in Betrieb genommen. Trotzdem bleibt das Thema Aufzugsausfälle in den Folgejahren ein großes Problem in den 

anderen Häusern.

August 2016

Die Gebäudeverwaltung geht an die 

Intown Property Management GmbH 

mit Sitz in Berlin. 

29.08.2017

Nach Beschwerden von Mietern führt die Feuerwehr eine außerplanmäßige Brandschau durch. Es werden zahlreiche Mängel festgestellt, die dem Bauordnungsamt gemeldet werden.

19.09.2017

Bauordnungsamt und Feuerwehr führen eine Nachschau durch. Dabei tauchen weitere – gravierende – Mängel im Brandschutz auf. Insbesondere nachträgliche Umbauten am Gebäude sollen zum Verstoß gegen das genehmigte Brandschutzkonzept geführt haben. Der „kleine Hannibal“ in der Nordstadt ist nicht betroffen.

21.09.2017

Nach einer Krisensitzung geben die Verantwortlichen der Stadt Dortmund in einer Pressekonferenz die umgehende Räumung des kompletten Gebäudes bekannt. Die Schlüsselgewalt über das Gebäude haben nun Stadt und Feuerwehr. Mehr als 750 Menschen müssen innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen. Sie kommen bei Freunden und Bekannten unter oder nutzen die durch die Stadt zur Verfügung gestellten Notunterkünfte.

02.10.2017

Erste große Mieterversammlung. Das Gebäude ist weiterhin nicht bewohnbar und wird es wohl auch noch länger nicht sein. Baudezernent Ludger Wilde und Oberbürgermeister Ullrich Sierau stellen sich den aufgebrachten Mietern. Intown-Vertreter sind bei der Versammlung nicht dabei. Die Bewohner fühlen sich im Stich gelassen, sind wütend. Einige drohen mit Hungerstreik.

16.10.2017

Auf einer dritten und bisher letzten großen Bewohnerversammlung gibt Wilde bekannt, dass das Gebäude wahrscheinlich über zwei Jahre lang nicht bewohnbar sein wird. 

23.10.2017

Die Schlüsselgewalt über das Gebäude geht wieder an Intown. Immer mehr Mieter räumen ihre Wohnungen und kehren dem Hannibal den Rücken. Viele Mieter wollen sich die Möglichkeit einer Rückkehr offen halten und wollen ihre Wohnung nicht kündigen.

30.10.2017

Die Stadt Dortmund rechnet für das Haushaltsjahr 2017 mit geschätzten Gesamt¬aufwendungen in Höhe von bis zu 2,9 Mio. Euro.

06.12.2017

Eine Bewertung der Brandschutzmängel durch Intownn und ein darauf aufbauendes Sanierungskonzept liegen immer noch nicht vor. 

Mirko Kussin, erschienen in Mieterforum Nr. 50 IV/2017


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