1. Februar 2018 (Wohnungspolitik, Hannibal Dorstfeld)

Hannibal 2 - Die Mieter

Die Bewohner des Hannibal 2 hatten es über viele Jahre hinweg nicht einfach. Trotz der gut geschnittenen Wohnungen, der überwältigenden Aussicht aus den oberen Etagen und trotz der guten Nachbarschaft. Denn ständig ausfallende Aufzüge, schlecht funktionierende Heizungen und ein immer größer werdender Instandhaltungsstau zermürbte so manchen. Die Evakuierung im September brachte das Fass bei vielen zum Überlaufen.

752 Menschen mussten innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen. Sie konnten ein paar Papiere mitnehmen, ein wenig Kleidung, die Haustiere. 228 von ihnen kamen in möblierten, städtischen Unterkünfte unter, fast 150 verbrachten die ersten Nächte in Sammelunterkünften. Einige dieser Mieter sind noch immer dort untergebracht, viele weitere kamen bei Freunden und Verwandten unter. Um einen Überblick über die genaue Situation der betroffenen Vereinsmitglieder zu bekommen, läuft aktuell eine Fragebogenaktion, über die wir in der kommenden Ausgabe des Mieterforum berichten werden. 

Alles fällt weg

Die Eheleute Herberts (Name von der Redaktion geändert) gehören zu den Betroffenen. „Wir sind regelrecht von unserem alten Leben abgeschnitten worden“, sagt Martin Herberts. „41 Jahre haben wir im Hannibal gewohnt, die Wohnung selbst renoviert, eine gute Nachbarschaft gehabt. Im Sommer trafen wir uns oft hinter den Häusern im Park, gingen gemeinsam spazieren. Das driftet jetzt alles auseinander.“ In den ersten Wochen nach der Evakuierung sind die Herberts bei Freunden untergekommen, inzwischen haben die beiden eine neue Wohnung gefunden. Aber die ist rund 100 Euro teurer und hat einen sehr viel kleineren Balkon. Die Suche gestaltete sich schwierig, denn der Dortmunder Wohnungsmarkt ist leergefegt. Wenn plötzlich mehr als 700 Menschen – viele davon Leistungsbezieher – eine neue Wohnung benötigen, ist der sowieso angespannte Wohnungsmarkt (vgl. S. 18) überfordert. Und trotz der immer wieder auftretenden Mängel im Gebäude haben die Herberts gern im Hannibal gewohnt. „Auch wir hatten schon einmal einen Wasserschaden, als neue Heizungsventile montiert wurden. Da stand die ganze Wohnung unter Wasser. Wir mussten Bautrockner organisieren, aber die Stromkosten sind vom Vermieter übernommen worden“, sagt Dagmar Herberts. „Das klingt vielleicht hart, aber die besten Jahre dort im Hannibal hatten wir unter der Zwangsverwaltung“, ergänzt ihr Mann. „Wenn da etwas kaputt ging, wurde es recht schnell repariert.“

Einzigartige Herausforderung

Die Evakuierung und langfristige Unbewohnbarkeit eines Gebäudes in dieser Größenordnung stellte auch die Stadtverwaltung vor enorme organisatorische Probleme. Die Unterbringung der Bewohner musste organisiert werden, die Feuerwehr regelte den Zugang zu den Wohnungen. Ein Infopoint für die frustrierten Mieter wurde eingerichtet, Veranstaltungen zum aktuellen Stand der Dinge organisiert. Mit rund 3 Mio. Euro ist die Stadt Dortmund in Vorleistung gegangen, in der Hoffnung, sich diesen Betrag von der Eigentümerin erstatten lassen zu können. Doch trotz dieses großen Engagements ist die Wut der Bewohner auf die Stadtverwaltung groß, schließlich wurde die radikale Maßnahme durch Stadt und Feuerwehr ins Rollen gebracht. Die versprochene unbürokratische Kostenübernahme stockte anfangs, die Mieter fühlten sich schlecht informiert und zu wenig unterstützt – etwa bei der Wohnungssuche. Die Eheleute Herberts sind da keine Ausnahme: „Die drei großen Informationsveranstaltungen waren lächerlich“, sagt Martin Herberts. „Wir wissen ja bis heute nicht, was konkret die Gründe für die Brandschutzmängel war.“ Sie sammeln weiter Belege und Quittungen für Fahrtkosten und andere Aufwendungen, die im Rahmen der Evakuierung anfallen, in der Hoffnung, dass die Stadt diese übernehmen wird.

Sich wehren

Etwa 100 der Hannibal-Bewohner werden durch den Mieterverein Dortmund beraten. Wie wichtig das ist, verdeutlicht der wohnungspolitische Sprecher Tobias Scholz: „Zuallererst geht es darum, dass die Betroffenen schnell eine vergleichbare Ausweichwohnung finden und wieder einen geregelten Alltag leben können. Insbesondere für Familien mit Kindern war und ist die Zeit seit der Räumung aufreibend. Fahrten zu Kita, Schule und Arbeitsplatz mussten organisiert werden, ohne dass man ständigen Zugriff auf seinen Hausstand hatte.“

Nachdem auf der dritten Informationsveranstaltung in der DASA Mitte Oktober bekannt wurde, dass die Mieter über Jahre hinweg nicht in ihre Wohnungen zurückkehren können sollen, zeigte sich in den Gesichtern der Anwesenden blankes Entsetzen. Einige schüttelten verständnislos den Kopf, andere lachten sarkastisch. „Das war‘s“, sagte einer. Und ging.

Nicht kündigen!

Doch für Scholz ist klar, dass es das noch lange nicht war. „Die Mieter haben natürlich auch in dieser ungewöhnlichen Situation Rechte, die sie, gern mit unserer Unterstützung, wahrnehmen können.“ So rät Scholz zum Beispiel davon ab, Aufhebungsverträge, die die Eigentümerin anbietet, zu unterschreiben und die Wohnung zu kündigen. „Es besteht kein mietrechtlicher Grund zur Kündigung“, sagt Scholz. „Das ist die Strategie von Intown. Jeder Mieter, der einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet, hat keinerlei Ansprüche mehr und verbaut sich die Möglichkeit zu den Bedingungen seines alten Mietvertrages möglichweiser wieder zurückziehen zu können. Für die Mieter bedeutet das Aufrechterhalten des Mietverhältnisses keine finanzielle Belastung. Die Miete ist auf 0 Euro gesetzt, Abschlagzahlungen mit dem Energieversorgern sich ebenfalls minimieren. Aber dadurch bleiben alle Ansprüche an Intown bestehen, denn das Mietverhältnis bleibt bestehen.

Die Eheleute Herberts haben sich – zumindest emotional – vom Hannibal verabschiedet und fangen in der neuen Wohnung von vorne an. Auch, wenn es ihnen schwer fällt. „Wenn die Sanierung des Gebäudes ein halbes Jahr gedauert hätte, wären wir vielleicht direkt wieder zurückgezogen“, sagt Martin Herberts.  „Aber zwei Jahre? Wer kann schon so lange warten?“

Mirko Kussin, erschienen in Mieterforum Nr. 50 IV/2017


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