20. September 2015 (Miet- und Wohnungsrecht)

Big Brother im Zählerkasten

Die flächendeckende Installation von intelligenten Stromzählern – neudeutsch „Smart Meter“ genannt – sollte der Schlüssel zur Energiewende werden. Der Gedanke: Die in Echtzeit sichtbare Daten über aktuelle Stromverbräuche würden die Besitzer solcher Anlagen zum Sparen anregen. Lange sah es so aus, als würde die geplante Zwangsverpflichtung nur Betriebe und Großverbraucher mit mehr als 6.000 KW/h im Jahr betreffen. Ein aktuelles Entwurfspapier des Wirtschaftsministeriums will nun aber auch Kleinverbraucher in die smarte neue Überwachungswelt zwingen, obwohl die Kosten für solche Anlagen den Nutzen übersteigen.

Eine schwarze Kunststoffkiste an der Wand, mit verplombtem Glastürchen und einem Rädchen in der Mitte, das sich dreht. So kennen die meisten Menschen ihren Stromzähler. Einmal im Jahr kommt der Ableser der Versorgungsgesellschaft und nimmt den Verbrauch der vergangenen zwölf Monate kommastellengenau auf. Zusatzinformationen, zu welcher Tageszeit besonders viel Strom benötigt wird oder um wieviel Prozent der Verbrauch in Herbst und Winter steigt: Fehlanzeige.

Insofern ist der Grundgedanke, einen Zähler einzuführen, der einfach mehr kann, richtig und notwendig. Smart Meter können nämlich genau das: Sie zeigen den Verbrauch der Nutzer in Echtzeit, sind in ein Datennetz eingebunden, sollen Stromproduktions- und -verbrauchsspitzen im Netz sichtbar machen und dadurch zu einer intelligenteren Stromnutzung motivieren. Seit 2010 sind solche Geräte in Neubauten verpflichtend vorgeschrieben, sofern „dies technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar ist“, wie es im Gesetzestext vage formuliert wurde.

Wirklichkeitsfern

Kritik an der flächendeckenden Einführung der Smart Meter auch in Bestandsgebäuden formierte sich aus unterschiedlichen Richtungen. Verbraucherschützer, Medien und Nutzer wiesen auf die Nachteile der Anlagen hin. So ist der Grundgedanke, dass ein transparenterer Stromverbrauch auch zu Verhaltensänderungen führen kann, richtig, doch da Stromzähler nicht selten in Kellern oder Sicherungskästen montiert sind, verfehlt das Argument die Lebenswirklichkeit der Verbraucher. Nur die wenigsten werden aus Interesse am aktuellen Stromverbrauch täglich vielfach in den Keller gehen und die aktuellen Werte ablesen. Angekündigte Apps für Mobiltelefone, die solche Werte auf das Display des Smartphones bringen, sind keinesfalls bei jedem Stromversorger Standard. Außerdem setzen sie in der Regel ein bestimmtes Betriebssystem voraus. Verbraucher mit Nischenprodukten wie Windows Phone, Blackberry OS oder gar solche, die gar kein Smartphone nutzen, gucken vielleicht in die Röhre, nicht aber auf ihre Stromverbrauchswerte.

Ein weiterer Kritikpunt: Die smarten Stromzähler sind durch ihren Datentransfer, durch die Darstellung am Display und das Messen an sich, natürlich selbst Stromverbraucher. Der Ferraris-Zähler, eben jene klassische schwarze Kiste mit Rädchen, hat einen Eigenverbrauch von nur etwa 1,5 bis 3 Watt. Aufs Jahr hochgerechnet sind das mehr als 20 Kw/h. Ein smarter Stromzähler hat einen deutlich höheren Eigenverbrauch. Die benötigte Verbindung ins Internet, um die Daten an den Versorger zu übermitteln, benötigt ebenfalls Strom. Das Einsparpotenzial verringert sich dadurch erheblich.

Gläserne Verbraucher

Der kontinuierliche Datentransfer ist dann auch der nächste Kritikpunkt: Selbst wenn man Szenarien von Hackern, die bewusst ein System manipulieren, als Hollywood-Filmstoff betrachtet: Es ist eine Tatsache, dass der Verbraucher durch die intelligenten Zähler zum gläsernen Kunden für seinen Energieanbieter wird. Der weiß durch die Smart Meter nämlich sehr genau, wann im einzelnen Haushalt wieviel Strom verbraucht wird. Dadurch kann ein Unternehmen Rückschlüsse auf das Verhalten seines Kunden ziehen. Wann geht er zur Arbeit? Wann kommt er zurück? Wann geht er ins Bett? Ist er am Wochenende oft unterwegs? Das alles lässt sich anhand des Stromverbrauchs ablesen. Die Anbieter argumentieren zwar, dass dadurch individuelle Tarifangebote erstellt werden könnten, doch im Umkehrschluss beinhaltet ein so genaues Datenprofil auch immer die Möglichkeit von Sanktionen für die Nutzer, die sich nicht marktkonform verhalten. 

Das oft ins Feld gebrachte Argument, dass durch diese Zähler Strom gezielter dann genutzt werden könne, wenn er besonders günstig sei (also etwa in den Nachtstunden), ist schlussendlich ebenfalls kaum stichhaltig. Zum einen fehlen entsprechende Nachttarife seitens der Anbieter, zum anderen ist es lebensfern zu denken, dass Kunden die Startzeit ihrer Waschmaschine auf 3.00 Uhr in der Früh programmieren, um dadurch Geldbeträge im einstelligen Centbereich einzusparen. Und bei weitem nicht alle Haushalte haben überhaupt programmierbare Waschmaschinen.

Unzumutbare Belastung

Auch die Ergebnisse einer im Jahr 2013 in Auftrag gegebenen Kosten-Nutzen-Analyse kamen zu keinem überzeugenden Ergebnis – im Gegenteil: Die flächendeckende Einführung der intelligenten Zähler würde Klein- und Durchschnittsverbraucher finanziell unzumutbar belasten. Kein Wunder. So soll der Einbau eines neuen Zählers zwischen 23 und 60 Euro kosten. Hinzu kommt eine jährliche Grundgebühr. Dem gegenüber steht eine durchschnittlich zu erwartende Ersparnis von 1,25 Euro im Monat.

Trotz all dieser Kritikpunkte tauchte kurz vor Redaktionsschluss des Mieterforum ein neues Entwurfspapier aus dem Wirtschaftsministerium auf, das auch die Einführung von Smart Metern für Haushalte mit einem Verbrauch von weniger als 6.000 KW/h vorsieht – sofern der Netzbetreiber sich dafür entscheidet. Bei Millionen von Haushalten, die mit neuen Geräten versorgt werden müssten, ein Geschäft, das sich kaum ein Stromversorger entgehen lassen wird. 

Doch noch ist es nicht soweit: Nach Bekanntwerden des neuen Arbeitspapiers ruderte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums umgehend zurück: Das Papier sei ein erster interner Entwurf und würde sich „sicherlich noch an vielen Stellen verändern.“ 

Erschienen im MieterForum 3/2015


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